Um entkirchlichte Menschen zu erreichen, muß man sich heute schon etwas einfallen lassen

Junges Team engagierter Christen gestaltet in Bevern mit großem Erfolg den modernen "gottesdienst 08/16"


Bevern. Mit einem großen Banner werden die Besucher in der Kirche empfangen:
"Welcome - gottesdienst 08/16". Willkommen zu einem etwas anderen Gottesdienst. An jedem zweiten Sonntag eines Monats ist die Kirche zu Bevern mit überwiegend jungen Menschen gefüllt. Der "gottesdienst 08/16" ist farbig - fröhlich - feierlich und avencierte innerhalb kurzer Zeit zu einem Magneten für Menschen, die mit herkömmlichen Gottesdiensten wenig oder gar nichts anzufangen wissen. ZZ-Redaktion Lutz Hilken sprach mit dem Bevener Pastor Heino Masemann über das Phänomen "gottesdienst 08/16".

ZZ: Der "gottesdienst 08/16" hat sich zu einem Aushängeschild entwickelt. Junge Menschen aus dem gesamten Raum Zeven/Bremervörde sind bei dem Gottesdienst zu finden. Wann, wie und warum ist dieser "etwas andere" Gottesdienst entstanden?

Pastor Masemann: Entstanden ist er 1993. Ich hatte schon immer die Idee für mich im Hinterkopf, einen Gottesdienst in anderer, freier Form anzubieten. Einen Gottesdienst für entkirchlichte Menschen, in dem man sich wohl fühlt, auch wenn man keinen sehr großen Kontakt zur Kirche hat. Ich habe darüber zunächst mit Jugendlichen in unserer Kirchengemeinde gesprochen. Andere junge Leute, die auch so etwas wollten, haben davon gehört: Engagierte Christen aus Bremervörde, Oese und Oerel. Wir haben uns im Februar 1993 zum ersten Mal getroffen und haben überlegt: Was wollen wir? Welches Ziel soll das Ganze haben? Welche Gestalt muß der Gottesdienst haben, um dieses Ziel zu erreichen? Daran haben wir ein halbes Jahr gearbeitet. Im August 1993 kam es zum ersten "gottesdienst 08/16". Damals kamen etwas mehr als 100 Leute. Und das war schon mehr, als wir uns jemals vorgestellt hatten. Wir hatten mit 40 gerechnet, vielleicht 60. Wir waren überwältigt, daß wir so viele waren.

ZZ: Welche Ziele wollen Sie mit dem "gottesdienst 08/16" erreichen?

Pastor Masemann: Wir möchten Menschen erreichen, die dem christlichen Glauben und der Kirche fernstehen, aber auf der Suche nach einem erfüllten und sinnvollen Leben sind. Das heißt, wir möchten Leute erreichen, die irgendwo noch nicht fertig sind mit der Frage nach erfülltem Leben, die auch noch nicht fertig sind mit Gott und mit Jesus, die aber vielleicht mit der Kirche fertig sind. Weil sie sagen "Die Kirche kannst Du vergessen." Aber die Frage nach Gott ist ja auch eine Frage, die man unabhängig von der Kirche sehen kann.

Wir möchten Menschen einladen zu einem persönlichen Glauben, zu einem fröhlichen Glauben an Jesus Christus. Wir sind davon überzeugt, daß Glaube immer etwas Fröhliches ist. Diese Zielsetzung findet sich in der Gestaltung unseres Gottesdienstes wider.

Wir möchten speziell Menschen im Alter zwischen 15 und 45 Jahren ansprechen. Weil das diejenigen sind, die in den "normalen Gottesdiensten" in der Regel fehlen, die den Kontakt zur Kirche und dadurch leider auch zum Glauben verloren haben. Wichtig ist: Wir möchten mit dem "gottesdienst 08/16" ein zusätzliches Angeobt machen. Wir wollen niemanden Konkurrenz machen. Das ist ein bißchen die Angst, die einige haben: Wir könnten Leute aus ihren Gottesdiensten abziehen. Das wollen wir nicht. Wir wollen gerade die erreichen, die sonst überhaupt nicht zum Gottesdienst gehen.

ZZ: Gab es in Kirchenkreisen oder in der Bevölkerung Widerstand?

Pastor Masemann: Widerstand kann man nicht sagen: Es gab bei einigen Leuten Bauchschmerzen. Zum Beispiel mit dem Namen 08/16. "Soll es denn heißen, daß unsere anderen Gottesdienste alle 08/15 sind?" Manche haben 08/15 als negativ aufgefaßt. Wir vestehen 08/15 so: wie man`s kennt, wie man es gewohnt ist. Und unser Gottesdienst ist eben nicht so, wie viele andere Gottesdienste. Also an den Namen 08/16 haben sich eine ganze Reihe Leute gestoßen - nicht bei uns in Bevern, aber Pastorenkollegen zum Beispiel. Auch an der Form des "gottesdienstes 08/16" haben sich einige gestoßen. Ich erinnere mich, daß jemand sagte: "Das ist ja wie in der Disco hier. "Von der Stimmung und Atmosphäre her, weil es eben lauter ist. Es ist nicht so gesammelt, wie in normaler Gottesdienst. Da ist kein Schweigen, sondern da ist Leben. Und das wollen wir auch.

Viele 15- bis 45jährige freuen sich sicherlich auch über einen stillen Gottesdienst - aber nicht die Entkirchlichten. Und um die geht es uns ja. Für diejenigen, die schon zur Kirche gehen oder sich zur Gemeine halten, ist es manchmal schwer zu vestehen, was wir da machen, weil es eben so ganz anders ist: Daß es da einen Moderator gibt, der durch den Gottesdienst führt, daß der Pastor nicht mehr alles alleine macht. Das verursacht auch Kopfschütteln.

ZZ: Und wie sieht das heute aus, nach über einem Jahr?

Pastor Masemann: Das ist sicher immer noch so. Kopfschütteln, Bauchschmerzen, aber noch viel, viel mehr Wohlwollen - auch bei denen, die es mit der Kirche halten. Die freuen sich, weil in diesen Gottesdienst Leute kommen, die in andere Gottesdienste nicht kommen würden. Der "gottesdienst 08/16" ist ein Angebot, das bewußt über die Grenze unserer Kirchengemeinde hinausgeht.

ZZ: Wer ist das Team, wer gestaltet den Gottesdienst?

Pastor Masemann: Jeder "gottesdienst 08/16" wird von unserem Team vorbereitet. Das sind etwa 12 bis 15 Leute. Wir haben einmal im Monat ein Treffen. Einmal gibt es die "Initiative gottesdienst 08/16", dann das Musikteam mit derzeit einem Klavier und drei Gitarren. Dann haben wir noch das sogenannte "Impuls-Team", das das Thema des Gottesdienstes oder der Ansprache anreißt. Außerdem haben wir Leute, die zum Beispiel für die Technik zuständig sind, für das Kirchenbistro, die Moderation, fürs Gebet, für die Ansprache und ähnliches. Keiner bekommt Geld dafür. Alles wird ehrenamtlich gemacht.

ZZ: Sie machen ungewöhnliche Werbung für den "gottesdienst 08/16". Zum Beispiel auf Tassen oder mit Anzeigen auf Veranstaltungs-Seiten in der Lokalpresse, wo die Gottesdienst-Anzeige neben den Disco-Anzeigen zu finden ist.

Pastor Masemann:Das machen wir ganz bewußt. Die Leute, die wir ansprechen wollen, müssen in besonderer Weise auf den Gottesdienst aufmerksam gemacht werden. Zum Beispiel haben wir inzwischen 5000 Gottesdienst-Visitenkärtchen vorbereitet. Die findet man in der Pizzeria und an der Tankstelle. Wir haben auch schon Werbung gemacht im Veranstaltungs-Faltplan vom "ta-töff". Wo sonst für "Marlboro" geworben wird, haben wir eine Anzeige geschaltet. Das wird alles aus Spenden finanziert. Auch das gehört zu unserem Prinzip. Um die Menschen zu erreichen, die entkirchlicht sind, muß man sich heute schon etwas einfallen lassen.

ZZ: Die Besucherzahl hat sich beim "gottesdienst 08/16" rasant entwickelt. Anfangs kamen etwa 100 Interessierte, mittlerweile sind es rund 250. Wie erklären Sie sich den Erfolg des "gottesdienstes 08/16"?

Pastor Masemann: Es ist ein Erfolg, den ich nicht erklären kann. Wenn ich es einmal geistlich sagen soll: Es ist über Bitten und Verstehen. Wir beten für den Gottesdienst, daß wir Menschen erreichen, daß Gott Menschen erreicht. Wir können nur selbst darüber staunen, sind überwältigt und dankbar.

ZZ: Welche Gründe hören Sie von den Gottesdienst-Besuchern?

Pastor Masemann: Das Entscheidende ist für sie die Atmosphäre. Die Erfahrung christlicher Gemeinschaft steht in der Mitte des Gottesdienstgeschehens. Wir legen Wert auf eine fröhliche und feierliche Atmosphäre. Der Gottesdienst ist lebendig, es ist Bewegung drin. Er ist zeitgemäß und durchschaubar. Man kommt hin, kann sich orientieren und weiß, was da abläuft. Wir haben deswegen einen "Fahrplan", der in den Bänken ausliegt. Da steht genau drauf, was passiert, so daß man sich auch geborgen fühlen kann. Wir drucken sogar das "Vater unser" ab, weil wir sagen: auch das ist nicht selbstverständlich. Wer entkirchlicht ist und keinen Draht zu Gott hat, von dem können wir auch nicht erwarten, daß er das "Vater unser" noch kann. Wir drucken es ab, damit sich beim Gebet niemand ausgeschlossen fühlt. Ein weiterer Grund ist vielleicht die Art der Predigt. Das sie lebensnah ist, praktisch, anschaulich und klar in der Zielsetzung.

ZZ: Wird noch am Konzept für den "gottesdienst 08/16" gebastelt? Sind eventuell Neuerungen vorgesehen?

Pastor Masemann: Von der Grundstruktur her wird der Gottesdienst sicher so bleiben. Aber "gottesdienst 08/16" heißt schon so, daß man vom Namen her darauf gefaßt sein muß, daß mal wieder etwas anderes kommt. Im Moment ist unser größtes "Problem", wie wir mit den ganzen Leuten fertig werden. Woran wir arbeiten, sind ergänzende Angebote. Was auch noch wichtig ist: Wir werden einen Informationsbrief herausgeben für jeden, der ihn haben möchte. Damit kann zum Beispiel der Kontakt zu einer christlichen Gruppe vermittelt werden. Leute,die sich angesprochen fühlen und die sich bemerkbar machen, versuchen wir in ihre Heimatgemeinden hinein zu vermitteln. Außerdem bieten wir im Anschluß an den Gottesdienst die Möglichkeit zur persönlichen Segnung an. Das ist neu und wird sehr gut angenommen.

ZZ: Ist daran gedacht, den "gottesdienst 08/16" aufgrund des Erfolgs öfter stattfinden zu lassen?

Pastor Masemann: Wir warten erstmal ab. Wir wollen das nicht überstürzen, sondern alles wohldurchdacht auf den Weg bringen. Im Moment ist es nicht geplant. Wir haben auch nicht Kraft dazu, weil jeder Gottesdienst verhältnismäßig viel Vorbereitung braucht. Außerdem ist in diesem Zusammenhang zu bedenken, daß es nicht unser Ziel ist, hier eine neue zusätzliche Gemeinde einzurichten. Das wäre die Gefahr, wenn wir sagen würden, wir machen noch mehr Gottesdienste. Dann würden sie ja alle hier herkommen. Das wollen wir ja gerade nicht. Sondern wir wollen, daß Menschen einen Zugang zum Glauben finden, und daß sie dann in ihrer eigenen Heimatgemeinde möglichst Fuß fassen.

ZZ: Können Sie sich vorstellen, daß ein Gottesdienst wie der "gottesdienst 08/16" auch in anderen Kirchengemeinden durchführbar ist?

Pastor Masemann: Grundsätzlich denke ich schon. Es wird auch in anderen Kirchengemeinden teilweise nachgedacht über Gottesdienste in anderer, unkonventioneller Form. Von daher ist das auch möglich.Für uns ist die Zielsetzung entscheidend: Menschen einen Zugang zum Glauben zu ermöglichen. Und wo das die Zielsetzung ist, da denke ich ist es auch möglich, einen entsprechenden Gottesdienst zu machen. Es wird nie genauso sein wie hier - muß es ja auch nicht, denn dies ist ja auch nicht der Weisheit letzter Schluß. Es ist nur ein Angebot. Wir müssen als Kirche stärker angebotsorientiert denken.

ZZ: Abschließende Frage: Was wünschen Sie sich für das nächste Jahr, was erhoffen Sie sich für den "gottesdienst 08/16"?

Pastor Masemann: Ich wünsche mir für unseren Gottesdienst, daß wir möglichst viele Menschen, die dem Glauben an Jesus Christus bisher distanziert gegenüberstanden, eine Tür aufstoßen können zum Glauben, zu einem persönlichen und fröhlichen Glauben. Daß diese Menschen Gott ein gutes Stück näher kommen.

(Zevener Zeitung, 24.12.1994)


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