Kampf der Langeweile! Der "08/16"-Gottesdienst:
Frech, farbig, feierlich

IDEA SPEKTRUM (21/1997)

Fünf "Heino"-Imitatoren springen im Einheitsanzug auf die Bühne: weißhaarige Perücken und dunkle Sonnenbrillen, rostbraune Jacken und schwarze Hosen. Mit ihren Gitarren geben sie ein Potpourri aus dem Repertoire des Stars der Volksmusik zum besten. Natürlich dabei "Schwarzbraun ist die Haselnuß". Einstimmung auf "den wahren und echten Heino", wie er im Programm der Jahrestagung des niedersächsischen Jugendverbandes "Entschieden für Christus" (EC) in Großefehn/Ostfriesland angekündigt ist.

Einem großen Karton entsteigt der Gastredner: Pastor Heino Masemann. Der 35jährige liebt solche Überraschungen. Er ist Initiator der übergemeindlichen "o8/16-Gottesdienste" inder Heilig-Kreuz-Kirche im 1.300 Einwohner zählenden Bremervörde-Bevern. Mit seinem Team von zehn bis 15 ehrenamtlichen Mitarbeitern bringt der Vater von drei Töchtern frischen Wind in alte Kirchenmauern. Die neue Gottesdienstform richtet sich vor allem an 15-bis 45jährige, die der Kirche fernstehen oder sich im normalen Sonntagsgottesdienst langweilen. An jedem zweiten Sonntagabend im Monat reichen die 215 Sitzplätze nicht aus. Zum Start der besonderen Gottesdienste Anfang 1993 waren es etwa 100 Besucher; jetzt sind es bis zu 300. Drei Viertel kommen aus anderen Orten. Im normalen Sonntagsgottesdienst um 10 Uhr versammeln sich gerade mal 30 meist ältere Menschen.

Motto der 08/16-Gottesdienste: "Farbig, fröhlich, feierlich - und manchmal auch frech". Die Kirche ist dekoriert, etwa passend zum Muttertag, zur Weihnachtszeit oder zu den Olympischen Spielen. Zur Begrüßung gibt es Gummibärchen - ein "atmosphärischer Eisbrecher", so Masemann. Jeder Besucher erhält ein Blatt mit dem Gottesdienstablauf und dem Vaterunser, das längst nicht mehr jeder auswendig sprechen könne. Ein Moderator führt durch den Gottesdienst und erklärt alle Elemente. Gesangbücher und Orgel haben Pause. Die modernen christlichen Lieder werden von einer Combo mit Klavier, Querflöte und Gitarre begleitet. Es wird geklatscht und gelacht. Spielszenen führen in die Hauptgedanken der Ansprache ein. Der Begriff "Predigt" wird vermieden.

Die Verkündigung ist klar und verständlich. Theologisches Gerede ist dem Pastor zuwider, der ohne Talar vor die Besucher tritt. "Aufhänger" für seine Bibelauslegungen findet Masemann mitunter in der "BILD"-Zeitung oder in Illustrierten, etwa wenn es um Ehebruch oder Tod geht. Der Pastor scheut sich auch nicht, eine gute Flasche Rotwein, Edel-Zigarillos oder seinen Mini-Computer in seine Ansprache einzubeziehen.

Seine Lebensphilosophie: "Von allem nur das Beste."Und deshalb ruft er die Zuhörer auch auf, sich für ein Leben mit Jesus Christus zu entscheiden. Ein Buch mit zwölf "08/16"-Ansprachen Masemanns ist vor kurzem unter dem Titel "Dem echten Leben auf der Spur" im Hänssler Verlag (Neuhausen-Stuttgart) erschienen.

 

Den Glauben im Alltag umsetzen

Fester Bestandteil von "08/16" ist der "Speaker's Corner": Christen berichten in Interviews, wie sie ihren Glauben im Alltag umsetzen. Jeder Gottesdienst schließt nach dem Segen mit einem von Masemann erzählten Witz. Er setzt auf Humor und Unterhaltung: "Aber wir wollen keine Show abziehen, sondern Menschen einen zeitgemäßen Zugang zum christlichen Glauben bieten."Nichts soll "08/15" wirken. Deshalb geht auch nicht der Klingelbeutel durch die Reihen. Am Ausgang können die Besucher Bares in einen Zylinder werfen.

Der Theologe will mit seinem Gottesdienstmodell auch das Image der Kirche verbessern. Im Anschluß an die Gottesdienste bietet Masemann Segnungen und Seelsorge an. Außerdem besteht die Möglichkeit, das Kirchenbistro auf der Empore zu besuchen und bei Kaffee, Tee und Gummibärchen zu plaudern. Das Projekt in Bevern nimmt laut Masemann Impulse der "Willow Creek Gemeinde" bei Chicago auf, von der das Modell einer "Kirche für Kirchenfremde" stammt.

 

Unterdessen haben die "Initiative Gottesdienst 08/16" und die Kirchengemeinde Bevern ein Angebot für Familien und Langschläfer entwickelt. Seit April findet zusätzlich an jedem dritten Sonntag im Monat um 11.15 Uhr ein "Gottesdienst 08/16 minimaxi" statt; für groß und klein, jung und alt. Den ersten Teil, der auf Kinder zugeschnitten ist, feiern alle Generationen gemeinsam. Ein Programm für die Jungen und Mädchen im Gemeindehaus schließt sich an. Nach dem Gemeindegottesdienst bleibt man zum Mittagessen zusammen. Ein gewerblicher Pizza-Dienst sorgt für die Bewirtung und entlastet so die Mütter vom sonntäglichen Kochen.

 

Werbung für Gottesdienste in der Disko

Für beide Gottedienste wird intensiv geworben. Dazu dienen Visitenkärtchen, die in Geschäften, Gaststätten und an Tankstellen in der Umgebung ausliegen. Auch im Internet, in Kleinanzeigen und auf dem Werbezettel der örtlichen Diskothek lädt die Initiative ein.

"Fanartikel" wie Kugelschreiber, Tassen und T-Shirts mit dem 08/16-Logo werden zum Kauf angeboten. Der Erlös fließt in die Finanzierung des Projekts, das weitgehend durch Spenden getragen wird. Masemann begründet die Werbemaßnahmen so: " Ich kann mich nicht in die Kirche setzen, die Glocken läuten lassen und warten, bis die Leute kommen." Die originellste Werbemöglichkeit bot sich dem "08/16"-Team bislang in einer Diskothek. Es beteiligte sich an einem Wettbewerb für Pfannenschrubben. Die Gruppe in "08/16"-T-Shirts siegte, und Masemann konnte obendrein "den ganz anderen Gottesdienst" vor mehr als 2.000 jungen Leuten vorstellen.


Christian Starke, IDEA SPEKTRUM, Ausgabe 21/1997

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