"08/16": Zwischen Tradition und Neuerung

"Jede Zeit sucht sich ihren Gottesdienst"

Bevern. Zwischen Skepsis und Sympathie: Das Spektrum der Meinungen zum Beverner "gottesdienst 08/16", über den wir gestern ausführlich berichteten, ist groß. Wie sehen andere Pastoren den Versuch, neue Gottesdienstformen zu wagen? Die BZ sprach mit Superintendent Hastedt und Pastor Strüver und blickte außerdem einmal über die Grenzen des Kirchenkreises hinaus.

"Jede Zeit sucht sich den Gottesdienst, der ihr gemäß ist", beschreibt Superintendent Hans-Wilhelm Hastedt diese Bemühungen um eine neue Form von Gottesdienst. Auch wenn er den Gottesdienst 08/16 positiv bewertet, gibt er zu bedenken, Bewährtes nicht über Bord zu werfen: "Liturgie ist ein Schatz der Kirche, in dem Wichtiges aufgehoben ist." Deshalb sei es gut, wenn "08/16" ein Zusatzangebot ist und der "normale" Gottesdienst in Bevern am Vormittag weiterläuft. "gottesdienst 08/16" ist für ihn eine der vielen Facetten einer lebendigen Kirche, die neben der Verkündigung der Botschaft auch die leise Seelsorge und Diakonie umfassen müsse. Den Gottesdienstbesuchern dürfe bei aller Freude am Experimentieren nicht die Freude des Wiedererkennens der bekannten Formen und Gesänge genommen werden: "Wer in jedem Gottesdienst neue Inhalte und Formen anbietet, der wird Kirche abbauen."

Hastedt weiter: "Wie soll man sich wohlfühlen, wenn man an keiner Stelle mitmachen kann und vom Mitmachen lebt der Gottesdienst." Außerdem stellt sich der Superintendent die folgende Frage: "Was ist eigentlich dann, wenn der Pastor geht? Vielleicht hat der neue Pastor ganz andere Vorlieben und die Gemeinde muß dann wohl oder übel wieder einmal Liebgewordenes über Bord werfen." So seien ein neuer Pastor und eine neue Liturgie Chance und Krise zugleich, fügt er im BZ-Gespräch hinzu.

Gleichwohl kann sich Hastedt vorstellen, daß die phantasie- und lustvollen sowie kreativen Elemente neuer Gottesdienstformen auch in den herkömmlichen Gottesdienst einfließen. Positiv bewertet der Superintendent in diesem Zusammenhang vor allem, daß "08/16" Freiräume für Spontanität läßt. "Da ist nicht alles bis in die letzte Haarspitze liturgisch durchgestylt." Die umfassende Beteiligung der Gemeinde am Gottesdienst und die Tatsache, daß die Gemeinde nach der Veranstaltung nicht auseinanderläuft, sondern sich noch einmal im Gespräch begegnet, sind in seinen Augen wichtige Elemente, die bei der künftigen Suche nach Gottesdienstformen unverzichtbar seien: "In diese Richtung wird und muß sich Gottesdienst entwickeln."

Pastor Strüver sieht in dem Versuch, neue Formen zu wagen, eine Gratwanderung, die überaus schwierig sei. Auch wenn er erst einmal am "gottesdienst 08/16" teilgenommen hat und eher eine abwartende Position einnimmt, lobt er das lockere, entkrampfte Gemeinschaftserlebnis in der Beverner Kirche. Dem herkömmlichen Gottesdienst attestiert er eine gewisse intellektuelle Verkopfung. "Unserem Gottesdienst fehlt nicht selten die Stimmung." Doch auch Strüver meldet Vorbehalte an. Die Botschaft Christi dürfe beim Ausprobieren neuer Gottesdienstformen nicht aus dem Auge verloren werden. Er warnt deshalb vor einer anderen Einseitigkeit, die da ausschließlich in Gefüh- len badet, in dem Bedürfnis "gut drauf zu sein, sich wohlzufühlen". Es dürfe nicht so etwas wie eine geistliche Stimmungsmache dabei herauskommen, bei der die "Realität des Kreuzes" schwinde. Er könne sich denn auch vielmehr vorstellen, daß die neuen Formen gleichsam in homöopathischen Dosen in die Liturgie einfließen. Die neue Gottesdienstordnung biete da schon hinreichend Freiheiten. Die Bemühungen, Alternativen zum herkömmlichen Gottesdienst zu suchen, sind nicht neu.

Vor allem in den 70er Jahren, insbesondere auf den Kirchentagen wurde Neues entwickelt. In der erneuerten Agende (Gottesdienstordnung) haben viele Ideen der jahrelangen Diskussionen in den kirchlichen Gremien ihren Niederschlag gefunden. Im Vorwort zur "Erneuerten Agende" werden denn auch die fünf wichtigsten Kriterien eines Gottesdienstes wie folgt formuliert: Verantwortung und Beteiligung der ganzen Gemeinde, erkennbare, stabile Grundstruktur mit vielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten, Gleichberechtigung von bewährten, traditionellen und neuen Texten, Erweiterung der reformatorischen Basis durch ökumenische Spiritualität und nicht ausgrenzen- de Sprache. Vor diesem Hintergrund sind in vielen Gemeinden alternative Formen probiert worden. So beschrieb der Evangelische Pressedienst kürzlich die sogenannte "Thomas-Messe" in der hannoverschen Marktkirche. In den Tageszeitungen wirbt die Gemeinde mit dem augenzwinkernden Motto "Ein Vorgeschmack des Himmels - ob Du`s glaubst oder nicht!" für den Gottesdienst und erreichte so auch "Zweifelnde und Distanzierte", wie dem Bericht des Evangelischen Pressedienstes (epd) weiter zu entnehmen ist. Bei epd heißt es: "Am Anfang steht der feierliche Einzug des gesamten Vorbereitungsteams, es folgen die Begrüßung, gemeinsame Gebete und Lieder. An mehreren Seitenaltären kann im zweiten Teil jeder für sich beten. Es besteht die Möglichkeit, Kerzen anzuzünden, sein Anliegenden auf einen Zettel zu schreiben oder im Altarraum und in den Seitenkapellen das Gespräch mit den Seelsorgern zu führen. Vor den Zetteln wird reger Gebrauch gemacht, einige werden später vorgelesen, die restlichen nehmen die Gebetsgruppen mit nach Hause. Der Leiter der hannoverschen Stadtmission Pastor Fiola betont, daß das Motto nicht "Komm und höre", sondern "Komm und sieh und fühle und höre" heißen müsse.

Bremervörder Zeitung, 02.07.1994


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